Das Abendgymnasium in Baden-Württemberg
Abendgymnasien in Baden-Württemberg sind Ersatzschulen (also Privatschulen)!, die Berufstätige vorwiegend in Abendkursen von mindestens dreijähriger Dauer zur allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulreife führen.
Neben den allgemein bildenden Abendgymnasien gibt es derzeit auch ein berufliches Abendgymnasium an der Volkshochschule Konstanz-Singen (AGY Radolfzell, mit wirtschaftswissenschaftlicher Richtung).
Rechtsgrundlagen für die Abendgymnasien sind die Verordnung der Landesregierung über die Abendgymnasien vom 16. Juli 19681 (juris-Abkürzung: AbdGymnV BW 1968) und die Verordnung des Kultusministeriums über allgemein bildende Abendgymnasien (Abendgymnasien-Verordnung) vom 25. November 20102 (juris-Abk.: AbdGymV BW 2010).
Struktur und Gliederung des Bildungsgangs am Abendgymnasium
Der Bildungsgang an allgemein bildenden Abendgymnasien gliedert sich in den einjährigen Vorkurs (Klasse I), die einjährige Einführungsphase (Klasse II) und das nachfolgende zweijährige Kurssystem (Klassen III und IV). Den Vorkurs besucht in der Regel, wer keinen Realschulabschluss bzw. gleichwertigen Bildungsstand nachweisen kann oder keine Vorkenntnisse in einer zweiten Fremdsprache besitzt.
Schüler ohne Realschulabschluss erhalten mit der Versetzung ins Kurssystem einen dem Realschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand zuerkannt.
Schüler am Abendgymnasium müssen mit Ausnahme der letzten drei Schulhalbjahre berufstätig sein. Das selbständige Führen eines Familienhaushalts mit mindestens drei Personen, in Ausnahmefällen mit mindestens einer erziehungs- oder pflegebedürftigen Person, ist der Berufstätigkeit gleichgestellt. Eine nachgewiesene Arbeitslosigkeit kann in begründeten Einzelfällen berücksichtigt werden.
Im Vorkurs und in der Einführungsphase haben die Schüler maximal 22 Wochenstunden (im Vorkurs nur 18, wenn der Unterricht in einer zweiten Fremdsprache oder die Förderstunden wegfallen), im Kurssystem schließlich mindestens 20 Wochenstunden im Schulhalbjahr.
Aufnahmevoraussetzungen am Abendgymnasium
In den Vorkurs werden nur Bewerber aufgenommen, von denen angenommen werden kann, dass sie bei Eintritt in die Einführungsphase die Voraussetzungen des nächsten Absatzes erfüllen werden.
In die Einführungsphase am Abendgymnasium in Baden-Württemberg wird nur aufgenommen, wer bei Eintritt
- mindestens 19 Jahre alt ist,
- den Realschulabschluss oder einen gleichwertigen Bildungsstand besitzt oder den Vorkurs ordnungsgemäß besucht hat,
- noch nicht im Besitz der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulreife ist,
- eine mindestens zweijährige, abgeschlossene Berufsausbildung oder eine in der Regel mindestens zweijährige Berufstätigkeit nachweisen kann,
- nicht bereits zweimal die Nichtzuerkennung der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulreife erhalten hat; die Nichtzuerkennung der Hochschulreife auf dem Gymnasium (§ 8 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg) bleibt außer Betracht, wenn die Aufnahmeprüfung für das Kolleg bestanden wurde!
Eine durch Bescheinigung des Arbeitsamtes nachgewiesene Arbeitslosigkeit kann in begründeten Einzelfällen auf einen Teil der erforderlichen Zeit der Berufstätigkeit angerechnet werden. Die Führung eines Familienhaushaltes ist der Berufstätigkeit gleichgestellt. Anerkannt werden können auch Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes, des Entwicklungsdienstes oder des freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres. Das Erfordernis des Mindestalters und der Berufsausbildung oder der Berufstätigkeit gilt nicht im Falle der Schwangerschaft oder der Mutterschaft einer Schülerin.
Unterrichts- und Kursangebot im Kurssystem
Das Unterrichtsangebot im Kurssystem am Abendgymnasium in Baden-Württemberg gliedert sich in einen Pflichtbereich und einen Wahlbereich. Aus dem Angebot der Schule belegen die Schüler in fünf Kernfächern Kurse. Die drei fünfstündigen Pflichtkernfächer sind Deutsch, Mathematik und eine zu wählende Fremdsprache: Englisch, Französisch oder Latein. Über diese Fächer erstreckt sich die schriftliche Abiturprüfung (Zentralprüfung). Die zwei dreistündigen Wahlkernfächer sind Geschichte mit Gemeinschaftskunde und eine weitere Fremdsprache, Physik, Chemie oder Biologie. Diese werden im Abitur ausschließlich mündlich geprüft. Dazu kommen noch zweistündige Kurse gemäß §8 Absatz 3 AbdGymV BW 2010.
Fremdsprachenregelung am AG in Baden-Württemberg
Um die allgemeine Hochschulreife am Abendgymnasium erwerben zu können, müssen die Schüler ausreichende Grundkenntnisse in einer zweiten Fremdsprache nachweisen können durch...
- Unterricht in mindestens vier aufeinanderfolgenden Schuljahren, oder
- das Bestehen einer vom Abendgymnasium vor dem Übergang in das Kurssystem durchgeführten schriftlichen und mündlichen Feststellungsprüfung (wenn die Grundkenntnisse anderweitig erworben wurden, z.B. als Muttersprache oder durch einen Auslandsaufenthalt), oder
- durch Teilnahme und Erreichen mindestens ausreichender Leistungen (5 Punkte) im Fremdsprachenunterricht am Abendgymnasium bzw. bei schlechterer Note durch mindestens ausreichende Leistungen in einer schriftlichen und mündlichen Prüfung
Gesamtqualifikation
Die Endnote des Abiturzeugnisses errechnet sich aus den Leistungen in den Kursen (Block I) des Kurssystems und der Abiturprüfung (Block II). Letztere findet einmal jährlich an staatlich anerkannten privaten Abendgymnasien statt. Die Prüfungstermine setzt das Kultusministerium (schriftliche Prüfungen) und das zuständige Regierungspräsidium (mündliche) fest.
Die allgemeine Hochschulreife wird zuerkannt, wenn in Block I der Gesamtqualifikation mindestens 200 Punkte und in Block II der Gesamtqualifikation mindestens 100 Punkte erreicht wurden und auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.
Wiederholungsregelungen, Nichtzuerkennung des Abiturs & Entlassung
Der Übergang von der Einführungsphase in das Kurssystem ist nur mit einer Versetzungsentscheidung möglich (zu den Details siehe § 6 Absatz 1 AbdGymV BW 2010). Innerhalb des Kurssystems gibt es keine Versetzung. Eine Wiederholung innerhalb des Kurssystems ist in der Regel nicht vorgesehen; es gibt aber Ausnahmen. Die Einzelheiten dazu stehen in § 29 der Abiturverordnung Gymnasien der Normalform (NGVO).
Als Nichtzuerkennung der Hochschulreife gelten:
- das Wiederholen aus dem zweiten Halbjahr der Klasse IV heraus, wenn absehbar ist, dass die im ersten und zweiten Block der Gesamtqualifikation erforderlichen Leistungen nicht erbracht werden können (vgl. § 29 NGVO)
- die Nichtzulassung zur schriftlichen oder mündlichen Abiturprüfung,
- das Nichterreichen der Mindestqualifikation der Abiturprüfung,
- das ganze oder teilweise Nichtteilnehmen an einem der Prüfungsteile ohne wichtigen Grund (§ 27 NGVO),
- eine festgestellte Täuschungshandlung (Ausnahme: "leichte Fälle", vgl. § 28 NGVO).
Bei Zuerkennung der allgemeinen Hochschulreife ist weder eine Wiederholung des Bildungsgans noch eine Wiederholung der Abiturprüfung zulässig.
Schüler, bei denen am Ende der Klasse III bereits feststeht, dass sie zur schriftlichen Abiturprüfung nicht zugelassen werden können und diese Jahrgangsstufe nicht wiederholen können, oder denen zweimal die Zuerkennung der allgemeinen Hochschulreife versagt worden ist, müssen das Abendgymnasium endgültig verlassen.
BAFöG
In den letzten drei Schulhalbjahren können die Schüler am Abendgymnasium Unterstützung nach den Richtlinien des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAFöG) erhalten, sofern die Voraussetzungen dieses Gesetzes erfüllt werden.
FußnotenStand: 14.10.2011